Une aussi longue absence
Henri Colpi, Frankreich, 1961o
Die Betreiberin eines Bistros in einem Pariser Vorort ist frappiert von einem Clochard, der jeden Tag an ihrem vorbeigeht und ihrem seit dem Krieg verschollenen Mann gleicht. Sie beginnt ihm zu folgen, sammelt alle Hinweise, doch der Mann kann oder will sich an die traumatische Kriegszeit nicht erinnern. Umso hartnäckkiger versucht sie, sein Gedächtnis und damit ihre grosse Liebe zurückzuholen.
Dieser halbvergessen Klassiker, der nun in wunderbarer Restaurierung vorliegt, gewann 1961 die Goldene Palme von Cannes, wurde von der Kritik der Nouvelle-Vague-Zeit aber als ältliches Kino abgetan. Sechzig Jahre später macht gerade das seinen zeitlosen Reiz aus. Die Betreiberin eines Cafés in Pariser Banlieue glaubt in einem vorbeigehenden Clochard ihren seit dem Krieg verschollenen Mann wiederzuerkennen, doch dieser hat das Gedächtnis verloren. Mit allen Mitteln versucht die Frau die Erinnerung des Mannes und damit ihre grosse Liebe zu erwecken. Sie folgt ihm zu seinem Bretterverschlag an der Seine, lädt ihn in ihr Café ein, bietet Verwandte auf, bestückt die Juke-Box mit seinen geliebten Opern. Wer, wenn nicht Marguerite Duras, Co-Autorin des Drehbuchs, könnte so eine verlorene Liebe und Zeit in so kunstvoller Variation des immer Gleichen beschwören? Das Thema war ihr ureigenes. Ihr Mann wurde 1944 von der Gestapo verhaftet und kehrte 1945 tot geglaubt aus Dachau zurück. Vierzig Jahre brauchte die Schriftstellerin, um dieses Trauma künstlerisch zu verarbeiten, weitere dreissig Jahre später ging daraus das ähnlich schlichte und eindrückliche Drama La douleur hervor. In Un aussi longue absence schuf sie eine Variation des Themas, das schon in ihrem berühmtesten Filmstoff, Hiroshima, mon amour, anklingt. Der gefeierte Cutter von Hiroshima … wiederum, Henri Colpi, führte in Une aussi longue absence erstmals Regie. Man spürt den Neuling bei der Schauspielführung, wenn Stars vom Kaliber Alida Vallis und Georges Wilsons bisweilen schwerfällig agieren, doch filmisch ist Colpis Debüt voller bestechender Einfälle. Einmal tanzt das heillose Paar allein im Café, während er ihr etwas erzählt. Mit jeder Umdrehung kommt ihr Gesicht neu ins Bild und zeigt den gewachsenen Schmerz. So einfach kann grosses Kino sein.
Andreas Furler