September 5
Tim Fehlbaum, Deutschland, USA, 2024o
München, 5. September 1972, zehnter Wettkampftag der Olympischen Sommerspiele. Erstmals seit 1936 wieder in Deutschland, sollten es die „heiteren Spiele“ werden und der Welt das Bild eines neuen, liberalen Deutschlands vermitteln. Doch um 4.40 Uhr hört die Frühschicht des amerikanischen Senders ABC Schüsse aus dem nahe gelegenen Olympischen Dorf. Eine Gruppe palästinensischer Terroristen hat elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. Gegen den Widerstand der eigenen Nachrichtenabteilung berichtet das ABC-Sports-Team live über die 21-stündige Geiselnahme.
IIn diesem Medienthriller erleben wir innert just neunzig Minuten gleich zwei Ereignisse. Das erste: Wie die Sportreporter-Crew des amerikanischen Fernsehsenders ABC am 5. September 1972 in das Geiseldrama bei den olympischen Spielen von München verwickelt wird und 21 Stunden lang Fernsehgeschichte schreibt, weil ihre Kameras und Leute zufällig am "richtigen" Ort sind. Das zweite: Wie der 42jährige Basler Regisseur Tim Fehlbaum nach den Genrefilm-Talentproben Tides und Hell den Sprung zur ganz grossen Karriere schafft, indem er einfach alles richtig macht. Packend geschrieben und inszeniert, glänzend besetzt, gefilmt und montiert, rollt der Film auf, wie palästinensische Terroristen ins kaum gesicherte olympische Dorf eindrangen und die israelische Delegation als Geiseln nahmen, um inhaftierte Kämpfer freizupressen. Das formale Geschick der Fehlbaum-Crew überspielt dabei mühelos, dass es sich bei diesem politischen und menschlichen Drama um ein Kammerspiel handelt, das fast ausschliesslich im improvisierten Fernsehstudio von ABC am Rand des Olympiageländes spielt. Clever auch, wie sich aus dem dichten Zusammenspiel von journalistischem Handwerk und Instinkt, Konkurrenzdenken und Kalkül der Figuren ohne jedes Moralisieren das moralische Dilemma herausschält, das seither alle visuellen Medien kennzeichnet: In München wurde dem Terrorismus durch die Liveübertragung erstmals jene globale Bühne geboten, die er mit seinen Schreckens-Inszenierungen sucht. Alle Involvierten erahnen diesen Zusammenhang spontan, reagieren intelligent und besonnen – und können sich seiner Dynamik doch nicht entziehen. Eine Dynamik der positiven Art hat September 5 bereits für den Regisseur in Gang gesetzt: Der Film hatte am Festival von Venedig prominente Premiere, wurde als bestes Drama für die Golden Globes nominiert und wird von der US-Fachpresse mittlerweile als Oscar-Anwärter gehandelt. Die Hollywood-Stoffe dürften dem Schweizer in nächster Zeit zufliegen.
Andreas Furler