Max Frisch, Citoyen

Matthias von Gunten, Schweiz, 2007o

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Max Frisch war der letzte grosse Schweizer Intellektuelle, der auch über das eigene Land hinaus als «Stimme» breit wahrgenommen und geschätzt wurde: eine Figur, wie es sie heute kaum mehr gibt. Vor dem Hintergrund des vergehenden 20. Jahrhunderts spürt der Film Frischs Geschichte als Zeitzeuge nach und fragt, ob wir solche «Stimmen» überhaupt brauchen – oder heute auch ohne sie auskommen.


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08.04.2008
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schnitt.de, 12.10.2008
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Tages-Anzeiger, 04.04.2011
«Als Du ist er eine Niete»

Vor 20 Jahren starb Max Frisch. Wir drucken exklusiv einen bisher unveröffentlichten Text ab, in dem Frisch spontan sein Verhältnis zu Friedrich Dürrenmatt notiert hat.

Von Max Frisch

D. (Besuch.) Hole der Teufel, denke ich im Bett, meine Verletzlichkeit! Aber was bliebe mir, genau bedacht, ohne sie? Was nicht heisst, dass ich zum Dialog fähiger wäre; aber ich vermisse ihn, während D., scheint es, genug hat, um nichts zu vermissen; was wiederum nicht heisst, dass es ihm wohl ist. Seine Schwäche aber, und das ist entscheidend, hat Grösse. Unart als Schattenseite der Grösse, das meine ich nicht; das kommt vielleicht hinzu. Seine Beziehungslosigkeit (nicht nur zu mir) ist genial. Sein Gekicher über das Menschliche ist Selbstschutz; als Du ist er eine Niete, u. jeder Versuch, auf Du zu Du zu kommen, irritiert ihn. Dann schweigt er, früher oder später schlägt er, bis seine Überlegenheit wieder hergestellt ist. Bluff und Tücke, Kalauer minderer Sorte, alles kommt zum Einsatz, wenn er Beschämung befürchtet; ich habe nie gesehen, dass er (auch andern gegenüber) eine Beschämung zugibt. So wenig wie ein Bub. Er ist unloyal, aber nie kleinlich; brutal, aber nie philiströs; albern, aber auch dann noch originell; nie mittelmässig. Er stellt sich selbst in Frage, aber er lässt sich nicht in Frage stellen; ein Kritiker tadelt ihn wegen falscher Grammatik, u. Dürrenmatt schiesst den Kritiker in Grund und Boden kraft seines Witzes, der nichts beweist, aber Format hat als Witz; er hat die Lacher auf seiner Seite, u. die Lacher sind ihm wichtiger als ein Freund; D. selbst ist ein Lacher, und «verrückt» ist sein stetes Beiwort; was nicht «verrückt» ist, wird ihm nicht nennenswert, aber sein Blick für das «Verrückte» ist grandios – unerschöpflich, und man unterliegt gerne der Suggestion, dass alles andere, was sich seinem Blick entzieht, nichts als bieder sei.

«Frauen annulliert er»

Was sich seiner Suggestion entzieht, Frauen beispielsweise, annulliert er; es ist immer eine Männergesellschaft allenfalls mit Zuhörerinnen, die ihren Spass haben, aber keine Existenz. Es ist dann, selbst wenn man über Politik redet oder über . . ., eine sozusagen pornografische Situation, gerade indem die Frau annulliert wird. Sie bleibt unbefragt. Sie kann sich einmischen, aber schon seine Antwort auf ihren Einwand bekommen wir, nicht sie, ausgenommen die eigne Frau. Tritt das Ereignis ein, dass Frauen nicht nur lachen und fragen und zustimmen, sondern sprechen, schweigt D. mit Anstand; er klammert sich aus, hört, rüstet sich eine Zigarre, Haltung eines Mannes, der das Gespräch mit Frauen zwar nicht immer vermeiden kann, aber für hoffnungslos hält. Dann findet man als Mann, und wäre meine Sache noch so zweifelhaft, leicht seinen Beistand; mindestens versucht er, wenn die Diskussion nicht mehr mit Witzen zu torpedieren ist, eine Art von Vermittlung, die es erübrigt, dass man weiterhin aufeinander hört. D. ist nicht eifersüchtig, wenn ein anderer von Wissen oder Gescheitheit blitzt; dann blitzt er dazwischen; er ist eifersüchtig, wenn sich in seiner Gegenwart so etwas einstellt wie ein Gespräch. Dann geht er, um nach der Heizung zu sehen, oder legt eine herrliche Platte auf. Gelingt es auch so nicht, seine Sphäre wieder herzustellen, so hat er etwas Rührendes nachher. Einmal war es ein junger Wissenschaftler, der das Wort behielt; nach seiner Abreise war D. deprimiert, Schriftsteller zu sein u. nicht Biologe. Ein andermal kam ich ins Reden, herausgefordert durch einen Kreis, der sich in unserer Architektenschaft auskennt, u. es war viel Geschwätz, was ich von mir gab; auf dem Heimweg, während ich ein übles Gefühl hatte, war D. sehr still, nicht bedrückt, aber beschäftigt mit Gedanken, die erst am andern Tag sozusagen als Flaschenpost bei mir ankamen: Schriftstellerei ist kein Beruf, Architektur ist ein Beruf! Es irritiert ihn, dass es eine Welt [gibt], zu der er kein Gespräch findet, u. dann ist er komisch, denn die Welt, die er sich auftürmt, hat Grösse, die das meiste, was ihm imponiert, so sehr überragt, dass sie, um zu bestehen, das Gespräch ausschliesst. Das aber heisst: es bleibt Bewunderung, die sich auf das Werk bezieht, mit Verzicht auf Freundschaft.

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Autoren erzählen: Max Frisch
/ Text und Bühne
de / 26.09.2016 / 14‘39‘‘

Marcel Reich-Ranicki über Max Frisch
/ Bayerischer Rundfunk
de / 12.11.2012 / 44‘46‘‘

Interview mit Regisseur Matthias von Gunten
Von / SRF
de / 44‘41‘‘

Filmdateno

Genre
Dokumentarfilm
Länge
94 Min.
Originalsprachen
Deutsch, Schweizerdeutsch
Bewertungen
cccccccccc
ØIhre Bewertung7.2/10
IMDB-User:
7.2 (28)
Cinefile-User:
< 10 Stimmen
KritikerInnen:
< 3 Stimmen q

Cast & Crewo

Helmut Schmidt
Peter Bichsel
Gottfried Honegger
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Bonuso

iGefilmt
Autoren erzählen: Max Frisch
Text und Bühne, de , 14‘39‘‘
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Marcel Reich-Ranicki über Max Frisch
Bayerischer Rundfunk, de , 44‘46‘‘
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gGeschrieben
Besprechung Filmbulletin
Lara Sascha Bleuler
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Besprechung schnitt.de
Daniel Bickermann
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Max Frisch über sein Verhältnis zu Dürrenmattt
Tages-Anzeiger / Max Frisch
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hGesprochen
Interview mit Regisseur Matthias von Gunten
SRF / de / 44‘41‘‘
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