Vice
Adam McKay, USA, 2018o
Er gilt als einer der mächtigsten US-Vizepräsidenten aller Zeiten: Dick Cheney. Vice beleuchtet die sagenhafte Karriere des Bürokraten und Washington-Insiders, der an der Seite von George W. Bush zum einflussreichsten Politiker der Welt wurde und seine Macht zu nutzen wusste: Cheneys Entscheidungen prägen das Land noch immer, sein außenpolitisches Wirken ist bis heute spürbar.
Manche Kritiker haben diesem schillernden Biopic über Dick Cheney, den US-Vizepräsidenten des tumben Bush jr., frivole Leichtigkeit vorgeworfen. Doch wäre ein bleischweres moralisches Politstück über den Mitanzettler und bedenkenlosen Profiteur des zweiten Irak-Krieges uns notorisch vergnügungssüchtige KinogängerInnen einen ganzen Abend wert? Würde es nicht bloss zu den Bekehrten predigen? Wie auch immer: Adam McKay und seine mitverschworene Schauspielertruppe, allen voran ein bis zur Unkenntlichkeit aufgefütterter Christian Bale, ziehen wie schon in der brillanten Spekulanten-Komödie The Big Short alle Register und erlauben sich so ziemlich alle Verücktheiten, die ihnen zu diesem schwarzen Loch der Moral einfallen: rabenschwarzer Humor, irrwitzige Streiflichter und dramaturgische Finten vereinen sich mit Momenten von echtem oder vermeintlichem Drama zu einer höllisch unterhaltsamen Revue der politischen Laster. Wie es der Titel besagt: Vice!
Andreas FurlerDer meist eher schlanke Extremschauspieler Christian Bale hat sich mal wieder komplett verwandelt. Sein Stareinsatz erlaubt es dem Filmemacher Adam McKay, mal wirklich tief in Leben und Taten eines Washingtoner Bürokraten einzusteigen, der ein Meister darin war, seine Taktiken und seine wahre Macht zu verschleiern. Der Ton ist leicht, bisweilen fast komödienhaft, aber die Faktenrecherche ist knallhart. Hier sind sogar Politjunkies angesprochen - während allen anderen, die noch einmal Zeuge dieser konservativen Machtergreifung werden, aus dem Staunen nicht herauskommen.
Tobias KniebeAdam McKay réalise un autre tour de force : nous instruire avec intelligence et humour sur la success story la plus dramatique que l’Amérique ait connue ces dernières années.
Isabelle DanelAdam McKay s'est penché sur la vie du vice-président de George Bush. Et livre un film drôle et effrayant qui plonge dans les coulisses de la vie politique.
Eric NeuhoffGalerieo
War er schlimmer als Donald Trump? Ein neuer Spielfilm über Vizepräsident Dick Cheney kommt zu einem eindeutigen Ergebnis.
Beide gewannen die Präsidentschaft lediglich dank des Wahlkollegiums, beide sind sie keine grossen Leuchten. Der eine, George W. Bush, entstammte präsidialem Adel, der andere, Donald J. Trump, dem halbseidenen Milieu der Celebrity-Welt. Was sie indes trennt, sind ihre Vizepräsidenten: Hier der frömmelnde Mike Pence, ein farbloser Apparatschik aus dem republikanischen Regal für Einheitsbrei, dort der mächtigste Vize der amerikanischen Geschichte, ein Mann namens Dick Cheney, der den bizarrsten Krieg dieser Geschichte an vorderster Stelle anzuzetteln half und seinen dünnbrettbohrenden Boss im Weissen Haus dabei nach Strich und Faden manipulierte.
Trump mag nicht richtig ticken, aber immerhin hat er uns bislang nicht in einen an den Haaren herbeigezogenen Krieg wie den im Irak gezerrt, der mindestens einer halben Million Menschen das Leben kostete. Das ganze Elend der Bush-Präsidentschaft mit ihrem machtgeilen Vizepräsidenten wird den Amerikanern nun ausgerechnet zur Jesus-Geburt beschert: Der Film «Vice», eine betrübliche Angelegenheit, wird am Weihnachtstag in den Kinos anlaufen, schon jetzt hagelt es Lorbeeren für das formidable Werk des Drehbuchautors und Regisseurs Adam McKay.
Dafür verantwortlich ist unter anderem eine Riege von Stars, die in ihren Rollen aufgehen. Christian Bale – 40 Pfund nahm er zu für seine Rolle – gibt einen Cheney, wie er leibt und lebt, ihm gegenüber spielt Sam Rockwell den unbedarften Präsidenten, Amy Adams Cheneys Ehefrau Lynne, und Steve Carell tritt als Donald Rumsfeld auf.
Wohin die Reise geht, wird früh ersichtlich: Cheney wird vom designierten Präsidenten gefragt, ob er willens sei, den Posten des Vizepräsidenten zu übernehmen. «Die Vizepräsidentschaft ist vor allem ein symbolischer Job, wenn wir uns...ah…jedoch einigen könnten, würde ich die Alltagsarbeit übernehmen: die Bürokratie beaufsichtigen sowie die Energie-, Militär- und Aussenpolitik», erklärt Cheney. Bush, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, stimmt sofort zu: «Genau, das gefällt mir.»
Reue zeigt er niemals
Damit übergibt der überforderte Dilettant dem gewieften Vize die Hebel der Macht, bald ist nicht er, sondern Cheney der Strippenzieher des Unheils, das im Irak angerichtet wird. Angefeuert durch Medien, die voll in seine Massenvernichtungswaffenfantasien eintauchen, darunter die «New York Times», und bestärkt durch eine neokonservative Agitprop-Kampagne, zieht Cheney alle Register seiner politischen Gewissenlosigkeit.
«Bist du noch rücksichtsloser, als du es damals warst?», fragt Carells Rumsfeld den alten Kumpan aus Richard Nixons Gruselkabinett. Natürlich ist der noch rücksichtsloser: Beharrlich und mit heruntergezogenem Mundwinkel treibt der Mann aus Wyoming Land und Leute in einen desaströsen Krieg, gekonnt souffliert er dem unterbelichteten Präsidenten.
Reue zeigt er niemals. «Wenn du Macht hast, versuchen die Leute immer, sie dir wegzunehmen», ermahnt Gattin Lynne den Vize zur Wachsamkeit. Der ist stets auf dem Posten: Seine Spezis verdienen prächtig am Krieg im Irak, es wird gefoltert und gelogen, ein Skandal jagt den anderen, ohne dass Cheney jemals einen Preis dafür bezahlt hätte.
Bis jetzt: Nach einer Vorführung des Films für ausgewählte Medien am vergangenen Donnerstag fragte die «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd den Regisseur, wer denn schlimmer sei, Cheney oder Trump? «Möchten Sie lieber einen professionellen Killer, der hinter Ihnen her ist, oder einen Verrückten mit einem Schlachtermesser?», antwortet McKay. Er ziehe einen Verrückten mit einem Schlachtermesser vor und glaube deshalb, «dass Cheney der Schlimmere ist». Endlich einmal ein Lob für Donald Trump, wenngleich noch nicht aller Tage Abend ist und genügend Zeit für einen Amoklauf bleibt. (Redaktion Tamedia)
Christian Bale über seine Verwandlung in den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und die Frage, ob dieser gefährlicher war als heute Donald Trump.
Den Golden Globe hat Christian Bale, 45, für «Vice» bereits erhalten. Bei der Verleihung im Januar sagte er: «Ich danke Satan, dass er mir die Inspiration gab, wie ich die Rolle zu spielen habe.» Der englische Schauspieler spielt den US-Politiker Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush und – auf jeden Fall im Film von Adam McKay – teuflischer Drahtzieher hinter dem Irakkrieg und vielem anderen mehr. Um die Satire auch in Europa bekannt zu machen, ist Bale vorletzte Woche an die Berlinale gekommen.
Haben Sie überhaupt Zeit, mit Journalisten herumzusitzen? Sie sollten doch in Hollywood für Ihren Oscar werben.
Ah gut. Und wie macht man das?
An Essen und Partys gehen.
Ach, schauen Sie, die Oscars sind doch kein Wettkampf. Ich bin kein Sportler, sehe den Anlass eher als Feier für den Film.
Gewinnen wollen Sie nicht?
Selbstverständlich würde es mich freuen. Aber bleiben wir realistisch, die anderen sind auch gut. Und dann gibt es immer exzellente Leistungen, die kein Mensch wahrnimmt. Aber ich will die Bedeutung nicht herunterspielen. Wir werden dort sein mit «Vice». Und auf jeden Fall feiern.
Sie haben 15 Kilo zugenommen, um Dick Cheney zu spielen. War das wirklich notwendig?
Das habe ich mich auch gefragt. Besonders, als ich meinen Kollegen Gary Oldman traf und der sagte, er habe kein Gramm zugelegt für seine Oscarrolle als Winston Churchill, «dafür gibt es Maskenbildner». Cleverer Typ. Aber mir fehlte trotz aller Schminkkünste etwas.
Was?
Das Körperliche beeinflusst letztlich eben doch, wie man sich geistig fühlt. Um mich in Cheney zu versetzen, brauchte ich ziemlich viel Gewicht. Aber auch privat fand ich es in Ordnung, für eine Weile. Ganz besonders mein vierjähriger Sohn hat es genossen, auf mir herumzuklettern, als sei mein Bauch ein hoher Berg.
Kamen Sie sich mächtig vor als Cheney?
Es gibt im Film zwei, drei Stellen, wo ich spürte, wie es sein muss, wenn alle Fäden bei einem zusammenlaufen und man weltpolitische Dinge verändern kann. Nicht nachvollziehen konnte ich dagegen dieses Gefühl der ständigen Macht: sozusagen 24 Stunden am Tag am Drücker zu sein. Darüber habe ich intensiv nachgedacht beim Spielen. Ich würde diese Verantwortung sofort als Last empfinden. Cheney aber hat sie offensichtlich genossen. Ich denke, solche Menschen sind schon eine Gefahr für die Welt, egal welcher politischer Ansicht sie sind.
Sie haben Satan gedankt bei der Golden-Globe-Verleihung und Cheney auch schon als Darth Vader bezeichnet.
Darth Vader hat er sich selbst genannt, ziemlich oft. Er gefiel sich als Oberbösewicht oder kokettierte zumindest damit.
Gibt es etwas an ihm, das Sie mögen?
Nun gut, er hat seine Tochter unterstützt, als diese sich als Lesbe outete. Das passte natürlich nicht in sein politisches Programm und hat wohl gar einige Dinge verhindert in seiner Karriere. Aber er stand immer hinter ihr.
Was hat Ihnen am meisten geholfen beim Spielen dieses Machtmenschen?
Ich würde sagen: Neugierde. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich, wenn ich eine solche Rolle in Angriff nehme, keine Ahnung habe. Ich bekomme ja oft zu hören: Du kniest dich so rein, du bist ein Method-Actor. Aber das bin ich gerade nicht. Ich bin nicht einmal ein ausgebildeter Schauspieler, ich habe keine Fertigkeiten, die ich in der Schule erworben habe. Darum kann ich auch nicht meinen alten Tricks vertrauen. Wenn ich Dick Cheney spiele, denke ich: Bloody hell, wie stelle ich das nun wieder an?
Sie sagten auch, der ehemalige Vizepräsident sei damals gefährlicher gewesen als Donald Trump heute.
Ich denke, ein intelligenter Mann ist immer viel gefährlicher als einer, der einfach sehr impulsiv und laut ist. Womit ich keineswegs sagen will, von Donald Trump gehe keine reale Gefahr aus; mir ist schon klar, dass der einiges anstellen kann, das verheerende Folgen haben könnte. Aber Cheney war ein Schachspieler, der seine Züge lange vorausplante. Denken Sie, Trump ist ein guter Schachspieler? Kaum.
Sie haben ihn einmal getroffen, nicht wahr?
Ja, aber das war lange bevor er Präsident wurde, zu meinen Batman-Zeiten. Ich war als Bruce Wayne verkleidet, sah mit roter Krawatte und nach hinten gekämmtem Haar wie eine Figur aus Trumps Universum aus. Was irgendwie auch stimmte, wir filmten in seinem Hochhaus in New York. Der Wayne-Tower ist also eigentlich der Trump-Tower.
Damals ist Trump vorbeigekommen?
Die Produzenten kamen zu mir und fragten: Könntest du kurz hinaufgehen? Er ist im oberen Stock. Trump hat mich dann voller Stolz herumgeführt, es gab viele vergoldete Dinge. Das war es dann auch schon. Aber er hat uns nicht rausgeschmissen während der Dreharbeiten.
Sie besitzen inzwischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Weshalb?
Ich will wählen können, da wo ich lebe. Irgendwo habe ich gelesen, dass die ursprüngliche griechische Bedeutung des Worts Idiot jemanden bezeichnet, der sich nicht am politischen Leben beteiligt. Ich wollte also kein Idiot sein.
Mögen Ihre Kinder eigentlich die Batman-Filme?
Sie haben sie nie gesehen.
Wieso nicht?
Ach, ich denke, wir haben in der Familie Besseres zu tun, als mich selbst zu betrachten.
Die Oscarverleihung werden sich die Kinder aber schon anschauen. Werden Sie, sollten Sie doch gewinnen, Satan erneut erwähnen?
Nein. Der Teufel hatte seinen Auftritt bereits. Bei den Oscars muss er draussen bleiben.